Liberale Demokratie und die Erfahrung der religiösen Demokratie

Dr. Mahdi Imanipour

In den letzten Jahrzehnten haben westliche Theoretiker versucht, die Begriffe „Demokratie“ und „Liberalismus“ entweder als gleichbedeutend zu suggerieren oder sie zumindest als unzertrenn­liches und selbstverständliches Begriffspaar darzustellen; das Be­harren auf dieser engen Verknüpfung führt letztendlich zum Tod der Demokratie. Es liegt auf der Hand, dass durch das Suggerieren dieser Sichtweise sonstige Staatsformen als „undemokratisch“ eti­kettiert und abgewiesen werden, ohne die Chance zu erhalten, sich richtig vorzustellen.

Um die Hintergründe und den Wahrheitsgehalt der o.a Behauptung zu prüfen, soll in diesem Beitrag zunächst versucht werden, einen Blick auf die Schlüsselbegriffe zu werfen. In einem weiteren Schritt wird der Frage nachgegangen, ob es sich bei Liberalismus und Demokratie um ein festes oder ein unstabiles Begriffspaar handelt. Abschließend wird die religiöse Demokratie als die wich­tigste Errungenschaft der Islamischen Revolution in Iran und zu­gleich als ein geeignetes Modell und eine neue Erfahrung im Be­reich der Demokratie präsentiert.

Bei der Schilderung des Liberalismus-Begriffs als der dominieren­den politischen Ideologie der Gegenwart ist die Beleuchtung von dessen Grundlagen unerlässlich. Den höchsten Wert bei den Libe­ralen und „Neoliberalen“ bildet „die Freiheit des Individuums“. Die Lexika definieren den Liberalismus als eine Theorie, nach der sich der Staat in die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Bürgerinnen und Bürger nicht einmischen darf. Der Liberalismus entstand in einer Zeit, in der durch den produktionstechnischen Fortschritt, große Mengen an Kapital entstanden sind. Die Kapitalisten wollen den Markt und ihr Eigentum unter ihrer Kontrolle haben und sehen den Staat in den drei Bereichen der Produktion, der Distribution und des Konsums des Kapitals als ein Hindernis. Daher versuchen sie, die Staaten in ihrem Handlungsradius einzuschränken, wodurch die ersten Weichen für Liberalismus gestellt werden. Auch dieser Liberalismus spricht von Freiheit, aber er meint damit die Freiheit der Kapitalproduktion und der Marktkontrolle. Somit wird der Li­beralismus aus dem wirtschaftlichen Kontext geboren. Er bleibt jedoch nicht in wirtschaftlichen Grenzen, sondern greift auf andere Lebensbereiche über. Die Tendenz dieses Übergreifens auf politi­sche und sogar ethische Bereiche geht mit dem sukzessiven Rück­zug der Kirche aus dem westlichen Gesellschaftsleben einher. Mit dem Niedergang der Religion und generell der Metaphysik entsteht der Humanismus als Hauptsubstanz des Liberalismus. Bei Libera­lismus geht es in erster Linie und im Wesentlichen um den Men­schen. Der Mensch dürfe demnach machen, was er will, und weder Gott noch der Staat dürften sich in die Angelegenheiten des Men­schen einmischen. Der Stellenwert der individuellen Freiheit steigt in dieser Sichtweise dermaßen, dass er zum höchsten politischen Wert wird, und kein anderes Recht erreicht die Stellung des Rechts auf Freiheit. Zur Verwirklichung des modernen Menschen in der liberalen Gesellschaft reicht einzig und allein dessen Recht auf Freiheit.

Was bedeutet „Demokratie“?

Dieses Wort ist eine Zusammensetzung vom griechischen „demos“ (Volk) und „kratia“ (Macht, Herrschaft). Der Demokratiebegriff wurde in klassischen Texten als „Herrschaft der Menschen über Menschen und für Menschen“ definiert. Dieser Begriff entstand als politischer Gedanke in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Athen und gehört zu den wenigen politischen Begriffen, die in den letzten zwei Jahrhunderten eine enorme Beachtung und Ver­breitung erfahren haben. Er hat in seiner langen Geschichte einen unwegsamen Weg durchlaufen, ist aber dennoch Begegnungsort der Gedanken und Ideale eines großen Teils der Menschen. Mit Gewissheit kann man behaupten, dass im Gebrauch dieses spekta­kulären Begriffs nach wie vor Uneinigkeit herrscht. Der Politologe David Held bezeichnet die Geschichte des Demokratiegedankens als kompliziert und die Geschichte der Demokratie selbst als ver­wirrend. Viele Denker bezeichnen die Demokratie als ein System mit Mankos, doch verglichen mit anderen politischen Systemen weise diese Herrschaftsform weniger Unzulänglichkeiten auf. Da­vid Held und Carl Cohen haben in ihren Werken „Die Demokra­tiemodelle“ und „Die Demokratie“ diverse Interpretationen des Demokratiebegriffes gesammelt und präsentiert. Hier stößt man auf Interpretationen, deren Theoretiker versucht haben, die Demokratie so zu schildern, dass sie gleichbedeutend mit „Liberalismus“ oder zumindest als deren ständige Begleitung verstanden wird.

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