Werner Sundermann und die persische Literatur

Prof. Dr. Manfred Lorenz

Am Freitag, dem 12. Oktober 2012 verstarb Werner Sundermann, ehe­maliger Mitarbeiter und Arbeitsstellenleiter der Turfanabteilung der Ber­lin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Honorarpro­fessor der Freien Universität zu Berlin. Mit ihm verlor die Iranistik einen der besten Kenner des Mitteliranischen und vor allem des Manchäismus. Seine Leistung wurde auf einer Festveranstaltung der Akademie am 13.2.2013 in einem Vortrag seines Freundes und Kollegen Nicholas Sims-Williams gewürdigt.  Eine Bibliographie seiner Werke findet man in Manichaica Iranica. Ausgewählte Schriften von Werner Sundermann, ed. Ch. Reck, D. Weber, C .Leurin & A. Panaino, Rom 2001, pp. 945-966.

Ich kannte Werner Sundermann als Kollegen wohl am längsten. Nach­dem  Professor H. F. J. Junker gemeinsam mit dem bekannten iranischen Schriftsteller Bozorg Alavi mit Eckhardt Fichtner und mir als erste Stu­denten  im Januar 1954 die Fachrichtung Iranistik an der Berliner Hum­boldt-Universität eröffnet hatte, stellten sie eine Gruppe von Studenten zusammen, die im September dieses Jahres das Studium aufnahm. Da­runter war Werner Sundermann. Wir wurden enge Freunde, besuchten zusammen Vorlesungen  und arbeiteten später an gemeinsamen Projek­ten. Dabei ergab sich, dass Werner Sundermann  vorwiegend  der älteren Iranistik zugetan war, während  meine Neigungen mehr auf dem Gebiet der modernen iranischen Sprachen lagen.  Aber: als Schüler von Bozorg Alavi arbeitete sich Werner natürlich auch ins moderne Persisch ein. Un­sere Persischkenntnisse wurden noch vertieft, als  1955 der von uns hochgeachtete Persisch-Lektor Hossein Kheirkhah (Esfahani),  ein aus Iran emigrierter ehemaliger Schauspieler des Teheraner Sa’di-Theaters, seine Arbeit an der Humboldt-Universität  aufnahm.  Sundermann selbst konnte also sehr gut Persisch!

Wissen die deutschen Literaturwissenschaftler heute überhaupt, dass wir, seitdem uns die Übersetzungen von Joseph von Hammer-Purgstall und Friedrich Rückert weniger leicht zugänglich sind, wissen sie also, dass wir eine umfassende und doch knappe Darstellung der klassischen  persi­schen Literatur (vom 9. bis 16. Jahrhundert, also von Rudaki, Sa’di, Háfez bis zu Dshámi) unserem Kollegen Werner Sundermann verdan­ken?  Er hat in dem Band „Lob der Geliebten“, erschienen 1968 bei Rüt­ten & Loening, Berlin (2. Auflage 1983) Beispiele der persischen Klassik herausgegeben, von ihm als Rohübersetzung, von dem Dichter Martin Remané in Verse gebracht. Von besonderem Wert erscheint mir sein „Nachwort“, in dem er nicht nur Dichter und ihre Werke vorstellt, in dem er auch die Geschichte der Deutsch-Übersetzungen persischer Klassik kurz umreisst. So hebt er die Rolle von Rückert, August von Platen-Hal­lermünde, Graf Adolf Friedrich von Schack, Friedrich Bodenstedt und anderer hervor. Auch zur Frage der Formgestaltung  nimmt er Stellung. Wichtig scheint mir seine Feststellung (S.226): „Es bleibt immerhin eine Tatsache, dass viele Dichter Persiens, die Fürstenlob sangen, ihre bedeu­tendsten zumal, ihre Kunst nicht in pflichtschuldiger Panegyrik er­schöpften, sondern auch die Überzeugung von der gottgeschaffenen  Gleichheit aller Menschen, die Schilderung gemeinmenschlicher Gefühle und Schicksale, den Glauben an sittliche Ideale, ja bisweilen harte Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen ihrer Zeit auszusprechen wagten.“

Man konnte sich als Kollege immer wieder mit Fragen an Werner wen­den, seine Antworten waren sachkundig und – seinem Charakter entspre­chend – immer freundlich liebenswürdig, selbstlos. Über die Grenzen Deutschlands hinaus war seine Stimme zu hören. Für einen Vortrag „Be­gegnung zwischen Ost und West – Hafez und  Goethe“  (Spektrum, 3/2010)  konnte ich mit seinem Einverständnis einen Artikel benutzen, den Werner  Sundermann  in deutscher Sprache in Moskau veröffentlicht hatte, unter dem Titel „Hammer-Purgstalls Háfiz-Übersetzung  und ihre Bedeutung für Goethes West-Östlichen Divan“ (in: Teoretičeskije problemy vostočnyx literatur, 1969).

Als ich 1990 das Bändchen „Die Abenteuer des Prinzen Hatem (Ein ira­nischer Märchenroman)“ in Leipzig herausgab, beriet ich mich mit Wer­ner bei der Abfassung des Nachworts. Also  findet man dort auf S. 291 meine Bemerkung: „Ich danke Werner Sundermann, Berlin, für mündli­che Hinweise zu den Ausführungen auf den Seiten 283 und 288. ML.“ Er hatte mir wertvolle   Bemerkungen zum Alt- und Mitteliranischen, dem Manichäismus und dem buddhistischen Bodhisattva-Ideal vermittelt.

So könnte man noch viele Beispiele anführen, wo Werner Sundermanns  Rat im Bereich der persischen Klassik hilfreich und hochgeschätzt war.

Doch nicht nur im Bereich der persischen Klassik hat Sundermann mit­gearbeitet. Im Jahre 1984 gab der Verlag Rütten und Loening, Berlin, der um die Publikation persischer Literatur hervorragend bemüht war, einen Band  moderner persischer Prosa heraus. Es waren  Übersetzungen ins Deutsche durch mehrere Iranistik-Kollegen von Schriftstellern wie Dshamalzádeh, Hedájat, Tschubak, Al-e-Ahmad, Golestan, Doulatábádi, Sá’edi und mehreren anderen. Herausgeber war Bozorg Alavi, und es kostete mich wie üblich grosse Mühe, Agha Bozorg zu veranlassen, auch drei seiner eigenen Erzählungen mit aufzunehmen. Zwei Übersetzungen von Hedájat stammen aus der  Feder von Werner Sundermann, „Der Morgen“ und die Erzählung „Mohallel“, die zu übersetzen uns grosse Schwierigkeiten bereitete. Mohallel als „Auslöser“  (eine Funktion im islamischen Rechts-System) wäre unverständlich gewesen. Also wurde als Titel der Geschichte eine Variante gewählt, die zugleich als Titel des ganzen Bandes diente. Werner Sundermanns Geschichte heisst also „Die beiden Ehemänner“.

Doch viel, viel wichtiger sind die 9 Seiten, die Werner Sundermann an den Anfang des Buches stellt: „Bozorg Alavi und wir“. Auf diesen Seiten bringt er die Liebe und Verehrung zum Ausdruck, die wir Schüler und Freunde unserem Agha Bozorg gegenüer fühlten. Er geht auf Einzelhei­ten ein, so die Verleihung der „Goldmedaille des Internationalen Frie­densrates“, auf die Ereignisse in Iran 1953, die dazu führten, dass Alavi es vorzog, seinen Wohnsitz in Berlin zu wählen – was ja, wie gesagt, der Beginn einer beachtlichen Iranistik an der Humboldt-Universität war. Von Alavis Werken über seine Heimat Iran hebt er besonders den Band „Das Land der Rosen und der Nachtigallen“ (Kongress-Verlag, Berlin 1957) hervor und stellt zu Recht fest, eigentlich „verdient dieses Buch mehr Beachtung, als die Kritik ihm bisher zugebilligt hat.“ Mit der Ver­öffentlichung der „Geschichte und Entwicklung der modernen persischen Literatur“ (Berlin 1964) hat nach Sundermanns Ansicht sein Lehrer einen grossen Namen als Wissenschaftler errungen.

Werner Sundermanns Platz in dieser Wertung charakterisiert er selbst auf Seite 8: „Wenn ich hier von Alavi als einem Vermittler iranischer Kultur  berichte, so soll dies in Form persönlicher Erinnerung geschehen, denn ich gehöre zu seinen Schülern seit 1954. Sein Unterricht war anspruchs­voll an Hörer und Lehrer  zugleich und so intensiv, dass Mitarbeit und Vorbereitung oft wenig Zeit für andere Studienfächer liessen. Sein Unter­richt vermochte aber auch die Erkenntnis zu wecken, dasss sein Fachge­biet die grossartige Geistesleistung  eines begabten, traditionsreichen Volkes mit einer alten Kultur zum Inhalt hatte. Ich selbst war aus  Inte­resse für die Kultur des alten Iran zu Alavi gekommen, wurde aber im­mer mehr in den Bann seiner Lehrgegenstände gezogen und wünschte mir am Ende meiner Studien nichts anderes als eine Arbeitsaufgabe im Bereich der neuesten persischen Literatur.“

Das  sollte meine Aussage in diesem kleinen Artikel sein (ML).

Alavi hat Werner Sundermann als seinen Schüler hoch geachtet, geliebt. Im Februar 1997 war Agha Bozorg ernsthaft erkrankt. Seine Frau rief mich an. Er liege im Krankenhaus, aber morgen, das heisst am 17. Feb­ruar möchte er seine Schüler und Freunde, Werner Sundermann und mich, an seinem Krankenbette  sehen. Wir hatten uns beide für den Vor­mittag verabredet. An diesem Morgen erhielten wir beide die Nachricht, dass Bozorg um 23.25 h in der Nacht verstorben ist.

Es war zu spät – wie es leider zu oft zu spät ist.

Von links nach Rechts: Manfred Lorenz, Bozorg Alavi, Werner Sundermann

PDF: Werner Sundermann und die persische Literatur