Schiitische Überlieferungen über das Leben Jesu im würt­tembergischen Pietismus – Christian Gottlob Barth und die Auszüge aus Muhammad Baqir al-Majlisis „Hayat al-Qulub“ (Das Leben der Her­zen)

Prof. Dr. Roland Pietsch

Im Jahr 1835 hat David Friedrich Strauß in Tübingen Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet veröffentlicht und damit einen Sturm der Empörung ausgelöst, weil er in diesem Buch die Auffassung vertreten hatte, dass die Evangelien keine geschichtlichen Tatsachen enthalten, sondern Mythen sind, d. h. Sagen, die in einem langen mündlichen Überlieferungsprozess entstanden sind. Demzufolge sind diese „neutestamentlichen Mythen“ für Strauß „nichts Andres, als geschichtsartige Einkleidungen urchristlicher Ideen“[1]. Gegen diese Auffassung richteten sich zahlreiche theologische Schriften besonders aus Kreisen der deutschen protestantischen Erweckungsbewegung. Zu ihnen gehört auch die kleine Schrift des Theologen Christian Gottlob Barth Die Mythen des Lebens Jesu. Auszüge aus Haiat ul Kulub, oder Geschichte Muhameds, beschrieben nach der Schiitischen Tradition von Muhamed Bachir. Nebst einem das „Leben Jesu von Dr. Strauss“ betreffenden Anhang, die 1837 in Stuttgart im Steinkopf Verlag erschienen war. Mit dieser Schrift wollte Barth, der ein einflussreicher Vertreter des württembergischen Pietismus war, den Be­weis gegen Strauß erbringen, dass ein Vergleich zwischen den Evange­lien und den schiitischen Überlieferungen deutlich zeigt, dass die Evan­gelien geschichtliche Tatsachen enthalten und keinesfalls als Mythen gedeutet werden dürfen. Die schiitischen Überlieferungen dagegen sind für ihn eindeutig Mythen, „d. h. poetisch-phantastische Hüllen eines nicht mehr herauszufindenden geschichtlichen Kerns“[2].

Um die Hintergründe dieses „Vergleichs“ zu verstehen zu können, wer­den im Folgenden zunächst Leben und Werk von Christian Gottlob Barth und Graf Felician Martin von Zaremba kurz vorgestellt. Anschließend wird die Bedeutung und der Stellenwert der in Hayāt al-Qulūb gesam­melten Überlieferungen über das Leben Jesu im schiitischen Islam be­trachtet. Anschließend werden die von Christian Gottlob Barth herausge­gebenen Auszüge aus Haiat ul Kulub“ vorgelegt und dann Christian Gottlob Barths Einstellung zum Islam und schließlich sein „Vergleich“ zwischen den schiitischen Überlieferungen zum Leben Jesu und den Evangelien untersucht.

weiter:

[1] David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, Tübingen 1835, Bd. I, S. 75.

[2] Christian Gottlob Barth, Die Mythen des Lebens Jesu, Stuttgart 1837, S. 28.