Die Tradition der heutigen persischen Kunstmusik

Dr. Thomas Ogger

Der Beginn der heutigen Kunstmusiktradition Persiens[1] ist mit dem »Radīf des Mīrzā ‘Abdollāh« im späten 19. Jahrhundert verknüpft, einer Sammlung und Neukodifizierung überlieferter Melodien und musikalischer Strukturen, deren Relikte sich vor allem im 18. Jahrhundert über viele Jahrzehnte hinweg, in denen Bürgerkriege mit ihren politischen und sozialen Unsicherheiten herrschten, erhalten hatten und als Gelehrtenmusik von wenigen Lehrermeistern an ihre Schüler mündlich weitergegeben wurden.

Hinzu kamen ab dem 19. Jahrhundert starke Einflüsse aus dem Westen.

Prolog

Die Ursprünge der Musik Persiens reichen nach Ansicht einiger Musikexperten bis in elamitische Zeiten um 3500 v. Chr., also etwa 5000 Jahre, zurück. Das ist eine stolze Zahl, doch ist dem noch hinzuzufügen, dass die elamitische Musik selbst das Erbe vorangegangener Kulturen war und dass diese wiederum Erbe vorangegangener, uns Heutigen inzwischen unbekannter Kulturen waren. Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Musik dieser Welt auf irgendeine Art und Weise irgendwann einmal begonnen hat: Das Singen ist der Menschheit seit ihrer Existenz in die Wiege gelegt worden und die Instrumentalmusik begann mit den ersten Knochen- und Schilfrohrflöten. Ein Rhythmus wurde mit Steinen oder Holzstöckchen geschlagen und irgendwann später erfanden die Menschen zusätzliches Instrumentarium, auf dem sie Klänge erzeugen konnten. Doch zu welchem Zeitpunkt dieser Ursprung anzusetzen wäre, kann nur Spekulationen überlassen bleiben. »Musik« ist nach der griechischen Bedeutung des Begriffs nichts Weiteres als die »Kunst, Klang zu erzeugen«.

Um im Bereich des heutigen Persien zu bleiben, so war die elamitische Sprache immerhin die erste Hofsprache des persischen Reiches der Achämeniden, das jedoch erst im 6. vorchristlichen Jahrhundert entstand und selbst Nachfolger und Erbe der Reiche der Assyrer, Babylonier und Meder war. Es hielt sich nur 200 Jahre, bis es mit der Eroberung durch den Alexander den Makedonier um 330 v. Chr. sein Ende fand und danach die nun griechisch dominierte Weltkultur, bekannt als Hellenismus, mit den beiden Weltsprachen Griechisch und Aramäisch das Gebiet von Süditalien bis nach Nordindien und Zentralasien umspannte. Seine Nachfolger, die Diadochen, regierten das Gebiet so lange, bis sie etwa 100 Jahre später von den ebenfalls hellenistisch beeinflussten Parthern abgelöst wurden. Erst zwischen dem 3. und dem frühen 7. Jahrhundert n. Chr. beherrschte mit den Sassaniden wieder eine Dynastie aus der Persis das gesamte Gebiet, das sich nun von Mesopotamien bis nach Zentralasien hin erstreckte. Dies war die bislang längste durchgehende Regierungsperiode eines persischen Herrscherhauses.

Generell ist uns aus der vorislamischen Zeit wenig überliefert. Zur Zeit des letzten Herrscherhauses (1925–1979), das sich »Pahlawī« nannte, herrschte die Meinung vor, viele Dokumente seien bei der Eroberung durch die Araber in Flammen aufgegangen.[2] Hierfür gibt es keine historisch ausreichende Begründung, da es sich um ein verhältnismäßig kleines Heer von Beduinen handelte, das zum endgültigen Zusammenbruch des bereits durch die ständigen Kriege mit Rom bzw. Byzanz, dem Rhomäischen Reich (mittelpers. Hrōm = Rūm), und soziale Aufstandsbewegungen geschwächten, gesellschaftlich und religiös erstarrten Reiches beitrug. Doch ist davon auszugehen, dass sich während jener Epoche mehrere regionale Überlieferungen innerhalb des Reiches, aber auch Einflüsse aus benachbarten Regionen bündelten und dadurch neue Formen hervorbrachten. Der Legende zufolge habe beispielsweise zur Zeit des Herrschers Bahrām-i Gūr (Bahrām V., 421–438) ein reger kultureller Austausch mit Indien stattgefunden, und er soll vierhundert Instrumentalisten und Sänger an seinen Hof geladen haben.

Dennoch wurden erst zu islamischer Zeit zahlreiche mündliche Überlieferungen aus der vorislamischen Epoche gesammelt und literarisch (Firdausī[3]/gest. 1020, Niẓāmī[4]/gest. um 1205) wie auch musikwissenschaftlich (z. B. die Sammlung Kitāb al-aġānī des Abū’l-Faraǧ al-Iṣfahānī/Iṣbahānī, gest. 967)[5] verarbeitet. So sind aus jener Zeit musikalische Begriffe überliefert, die sich in teils unterschiedlicher Schreibweise seit dem 8./9. nachchristlichen Jahrhundert über die gesamte islamische Welt verbreitet haben. Hierzu zählen Termini, wie rāst (maghreb. raṣd), segāh (sīkāh), iṣfahān (maghreb. iṣbahān), nahāwand usw.

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[1] Persien war der international offizielle und bekannte Name des Landes. Auf Arabisch hieß das Land traditionell bilādu’l-furs (Land der Perser), auf Griechisch Persia, von wo diese Bezeichnung über das Lateinische in die restlichen westlichen Sprachen gelangte. Somit wird dieser Begriff mit einem alten Kulturland assoziiert. Demgegenüber war der einheimische Name für das Land traditionell īrān, eine verballhornte Form des altpersischen būm-ī aryānam (Land der Arier).

Aufgrund der Bündnispolitik des nationalsozialistischen Deutschlands wurde der damalige Regent Reżā Ḫān 1935 bewogen, den Gebrauch des einheimischen Namens auf internationaler Ebene umzusetzen. Seither wird es auch gerne mit dem arabischen Nachbarland al-‘irāq (international Irak oder Iraq) verwechselt.

Auf die Kunstmusik bezogen, spielt der Begriff persisch eine hervorgehobene Rolle, da jene aufs Engste mit der persischen Sprache (pers. fārsī) verknüpft ist.

[2] Vermutlich wurde die überlieferte Zerstörung von Bibliotheken durch Alexander den Makedonier (mittelpers. Alaksandar-ī Hrōmī = Alexander der Rhomäer/Byzantiner) auch auf die Araber übertragen, da es in beiden Fällen um das Ende persischstämmiger Herrscherhäuser ging, deren Reiche sich jeweils bereits in Auflösung befanden. Und da die »Pahlawī«-Regenten sich als deren historische Nachfahren betrachteten, wurde das Geschichtsbild dementsprechend verändert.

[3] Šāhnāme

[4] Ḫosrau-o Šīrīn

[5] Diese Liedersammlung basiert, Gelehrten zufolge, auf der Liedersammlung des Yūnus al-Kātib von Medina (gest. 765), der wohl selbst persischer Abstammung war.