Wie ist menschliche Gottes­erfahrung[1] trotz des stren­gen islamischen Monotheismus möglich?

Prof. Dr. Abdoldjavad Falaturi

Bereits die Formulierung „Wie ist menschliche Gottes­erfahrung trotz des strengen islamischen Monotheismus möglich?“ soll über die bloße Frageform hinaus das Pro­blem als ein besonderes anspre­chen. Es fragt sich nun, warum dies als Problem angesehen werden soll.

Eine menschliche Gotteserfahrung im Islam ist des­halb ein Prob­lem, weil im allgemeinen die islamischen philosophischen und theologischen Bücher den islami­schen Gott in seiner absoluten Einheit und Einzigkeit so über alle möglichen Seinskategorien hinausdenken und ihn so von den Menschen trennen, daß nur ei­nem philo­sophisch geschulten Menschen bestenfalls eine abstrakte, rationale Gotteserfahrung ermöglicht wird, eine Art Er­fahrung aber, die jederzeit durch Erschütterung der Prä­missen zusammen­brechen kann.

Problem ist die islamische Gotteserfahrung ferner deshalb, weil nicht selten in den polemischen Schriften gegen den Islam den Muslimen vorgeworfen wird[2], daß ein solcher abstrakter Monotheis­mus über den Verstand der Masse der Muslime hinaus­geht, ihre Verbindung mit Gott unmöglich macht und diese zu Per­sonen- und Ge­genstandskult (Steine, Bäume, Grabmäler usw.) führt. Problem ist diese weiterhin deswegen, weil es in der isla­mi­schen Überzeugung keinen existentiellen Grund gibt, der zu einer dementsprechenden Verbindung mit Gott führt, wie dies z. B. im Christentum durch Sündenfall und Erlösung (hier sei auch an den Buddhismus gedacht) der Fall ist.

Problem ist schließlich die Gotteserfahrung auch des­halb, weil die Bezeichnung des Islam als eine Gesetzesre­ligion den Menschen als dem Buchstaben des Gesetzes Unterworfenen und Gott bestenfalls als einen gerechten und in diesem Sinne herzlosen, allgewaltigen, bezwin­genden, zornigen, rachsüchtigen, von einer unberechen­baren Willkür geleiteten Herrscher – als furchterregen­des Ungeheuer – hinstellt, der auf die Ankunft des Jüngsten Tages wartet, wo er endlich den Menschen zeigt, was er kann: Hölle für dich, du Ab­trünniger, und Paradies für dich, du Guter, du Braver.

Soweit einige Gründe, warum die islamische Gottes­erfahrung ein Problem darstellt. Zu allen diesen Schwierigkeiten und Problemen geben in der Tat die islamischen Gelehrten und ihre Werke vielfach Anlaß; gemeint sind Philosophen, Theologen, Juristen und z.T. Ethiker – um die islamischen Mystiker von vornherein auszuschlie­ßen, auf die wir später nur hinweisend zu­rückkommen werden.

Wenden wir uns nun dem Stifter des Islam, Muham­mad, zu, der zum Glück kein Theologe, kein Wissen­schaftler und kein Syste­matiker gewesen ist und nicht seine Lehre im Koran gemäß ver­schiedener Disziplinen auseinandergerissen und sie um den eigent­lichen Kern, um die Gotteserfahrung, gebracht hat.

Eine Beschäftigung mit dem Koran zeigt, daß die Frage: „Wie ist menschliche Gotteserfahrung trotz des strengen islamischen Mo­notheismus möglich?“ nicht nur das Problem, sondern auch die Antwort darauf invol­viert: Eine menschliche Gotteserfahrung ist gerade des­halb gewährleistet, weil es sich nach Muhammad um ei­nen strengen Monotheismus, d.h. um die Ausschaltung jeder Art von Mittler (Mensch, Natur, Prinzip usw.) zwi­schen Gott und den Menschen handelt.

Wie ist dies zu verstehen?

Eine Erläuterung dafür ist möglich, wenn wir uns der Analyse der drei Begriffe zuwenden, die der Ausdruck „menschliche Gotteser­fahrung“ enthält: nämlich Gott, Mensch und Gotteserfahrung.

Was ist Gott nach dem Koran?

Seine Antwort darauf ist: „Sag: Er ist Gott (Allah), ein Einziger, Gott der unveränderliche. Er hat weder Kinder gezeugt, noch ist er selber gezeugt worden. Keiner ist ihm gleichrangig.“[3] Noch schär­fer und entschiedener formu­liert, heißt die auf die Ablehnung der Vermenschlichung Gottes gerichtete Antwort: „Es gibt nichts, was ihm gleich ist.“[4] Diese Art negativer Beschreibung bekundet zwar die Einheit und Einzigkeit Gottes, also den strengen Monotheis­mus, zeigt aber in dieser Form nicht, wie ein solches über alles Wirkliche und Denkbare hinausge­hende Wesen zu erfahren ist.

Ebensowenig können uns die anthropomorphistisch klingenden Aussagen über den islamischen Gott einer Lösung unseres Prob­lems näherbringen. Daß er „der Hörende“ (as-sam) und „der Se­hende“ (al-basir)[5] ist, daß er „Antlitz“ (wagh)[6], „Hand“ (yad)[7] und „Thron“ (‚ars)[8] besitzt, besagt längst nicht, daß man ihn erfährt und wie man ihn erfährt. (Ganz davon zu schweigen, daß alle diese Äu­ßerungen, die zur Illustration des göttlichen Verhältnisses zu sei­nem Geschöpf dienen sollen, in der Regel von den sunnitischen und schiitischen Theologen zur Verdeutlichung der Vollkommen­heit und absoluten Einheit Gottes umfunktioniert werden.)

 


[1] Offensichtlich haben die islamischen Theologen und Philosophen kein Bedürfnis verspürt, über ihre Spekulationen über Gott, die Not­wendigkeit seiner Existenz und über seine Eigenschaften hinaus, die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit einer menschlichen Gotteserfahrungzu stellen. Es ist sogar schwer, einen passenden arabischen oder persischen Ausdruck für Gotteserfahrung zu finden, ohne Gefahr zu laufen, den islamischen Gott in seiner absoluten Transzendenz zu schmälern, ihn zu vermenschlichen bzw. zu verweltlichen. Es ist deshalb geboten, bei dieser unserer Fragestellung von der rein religiösen Emp­findung eines frommen Muslims auszugehen und sich quellenmäßig streng an den Koran zuihalten, ohne die Meinungsverschiedenheit der islamischen Richtungen und Schulen mitspielen zu lassen.

 

[2] Ich denke hier speziell an die Diskussionen, die in neuerer Zeit die christlichen Missionare in den islamischen Ländern geführt haben.

[3] Koran 112,1-4.

[4] Ebd. 42,11.

[5] Ebd. 17,1.

[6] Ebd. 2,100.

[7] Ebd. 5,64.

[8] Ebd. 9,129.