Ottokar Maria Freiherr von Schlechta-Wssehrd und seine Deutung persischer Dichtkunst

Prof. Dr. Roland Pietsch

Auf Vorschlag von Wenzel Anton Graf von Kaunitz (1711-1794) hat Kaiserin Maria Theresia im Jahr 1754 in Wien die Kaiserlich-königliche Akademie für Orientalische Sprachen gegründet, um junge Menschen als Übersetzer für den diplomatischen Dienst vor allem mit dem Osmani­schen Reich ausbilden zu lassen. Die Akademie hat im Lauf der Jahre bedeutende Diplomaten und Orientalisten hervorgebracht, die sich in ihrer Freizeit unter anderem auch mit persischer Dichtkunst beschäftigt haben. Zu ihnen gehörten Jakob von Wallenburg (1763-1806), Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774-1856), der als einer der Begründer der modernen Orientalistik in Europa gilt und von dessen Hafiz-Übersetzung Johann Wolfgang von Goethe wesentliche Anregungen für seinen „West-östlichen Diwan“ erhalten hat. Nach Hammer von Purgstall waren es vor allem Vinzenz Rosenzweig von Schwanau (1791-1865) und Ottokar Maria Freiherr von Schlechta-Wssehrd (1825-1894), die Über­setzungen persischer Dichtungen vorgelegt haben.

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über Leben und Werk von Schlechta-Wssehrd gegeben und anschließend seine Übersetzungen und ethischen Deutungen persischer Dichtkunst vorgestellt.

1. Leben und Werk von Ottokar Freiherr von Schlechta-Wssehrd[1]

Ottokar Maria Freiherr von Schlechta-Wssehrd stammte aus dem alt­böhmischen Adelsgeschlecht der Schlechta-Wssehrd (tschechisch: Šlechta ze Všehrd), das bis ins 15. Jahrhundert nachgewiesen ist[2]. Er wurde am 20. Juli 1825 in Wien als Sohn von Franz Xaver Freiherr von Schlechta-Wssehrd geboren, der mit Franz Schubert eng befreundet war. Nach dem Besuch des Akademischen Gymnasiums in Wien von 1834 bis 1841 trat er als Stiftling in die Kaiserlich-königliche Akademie für Orientalische Sprachen ein, wo er bis 1847 studierte und unter anderem die türkische, persische und arabische Sprache erlernte. Von 1848 bis 1860 arbeitete er bei der kaiserlichen Internuntiatur in Konstantinopel (Istanbul) als Dolmetscher und wurde im Jahr 1860 zum wirklichen Le­gationsrat und provisorischen Direktor der Akademie für Orientalische Sprachen in Wien ernannt, wo er zahlreiche notwendige Reformen er­folgreich durchführen konnte. Im Jahr 1869 wurde Freiherr von Schlechta-Wssehrd der Titel eines Hofrats verliehen und zwei Jahre spä­ter wurde er zum Agenten und Generalkonsul in Bukarest und zugleich zum Delegierten bei der europäischen Donau-Kommission ernannt. Im Jahr 1873 wurde er beauftragt, die private Ottomanische Eisenbahnen-Unternehmung in der europäischen Türkei zu vertreten. Er hielt sich zu diesem Zweck drei Jahre in Konstantinopel Istanbul)  auf und wurde da­nach im Ministerium des Äußeren in Wien für verschiedene Aufgaben verwendet. In den Jahren 1878 und 1879 wurde mit Übersetzungsarbei­ten für die Bosnische Kommission sowie für die Durchsicht administrati­ver Texte in französischer Sprache beauftragt. Im Jahr 1886 wurde er mit dem Titel eines außerordentlichen Gesandten  und bevollmächtigten Mi­nisters in den Ruhestand versetzt und 1880 zum Hofdolmetsch für orien­talische Sprachen ernannt. Neben seinen zahlreichen Übersetzungen per­sischer Dichtungen verfasste Schlechta-Wssehrd auch wissenschaftliche Arbeiten über osmanische und persische Geschichte. 1847 veröffentlichte er ein Werk über das Völkerrecht in türkischer Sprache „Kitāb-i ḥuqūq-i milel“, das 1878 zum zweiten Mal aufgelegt wurde. Ottokar von Schlechta-Wssehrd war Mitglied zahlreicher internationaler wissen­schaftlicher Gesellschaften und Akademien sowie Träger in- und auslän­discher Orden. Er starb am 18. Dezember 1894 in Wien.

2. Schlechta-Wssehrds Übersetzungen persischer Dichtkunst

Ottokar von Schlechta-Wssehrd hatte die Kunst des Übersetzens an der Kaiserlich-königlichen Akademie für Orientalische Sprachen in Wien gründlich erlernt. Das hohe Niveau dieser Akademie und seine außeror­dentlich hohe Sprachbegabung, seine Liebe zur Kultur und den Men­schen des Orients, denen er während seiner Aufenthalte in Konstantino­pel (Istanbul) begegnen konnte, waren für ihn mehr als ein Beweggrund, Werke der großen persischen Dichtkunst, die zur Weltliteratur gehören, zu übersetzen. Diese Übersetzungen „atmen etwas vom Märchenton und etwas von der hoheitsvollen Poesie Dantes. Sie sind dem Geist der Dichtung, die er vermittelt, aufrichtig hingegeben und erwerben das Morgenland als Quelle nicht freischweifender Phantasie, sondern hoher Weisheit.[3]“ Von 1846 bis 1892 hat er folgende Übersetzungen veröffentli­chen können:

Der Frühlingsgarten von Mewlana Abdurahman Dschami. Aus dem Persischen,  Wien 1846

Mawlanā Nur ad-Dīn Abd ar-Raḥmān Ğāmī war ein persischer Mystiker und Dichter. Er wurde am 18. August 1414 in der Gegend von Ğam in der Provinz Chorasan geboren. Kurze Zeit danach zog seine Familie nach Herat (heute in Afghanistan). Hier erhielt Ğāmī seinen ersten Unterricht von seinem Vater. Hier lernte er auch das Sufitum (islamische Mystik) kennen und trat später in einen Sufi-Orden ein. Später studierte er an der Universität in Herat die grundlegenden islamischen Wissenschaften und  Mathematik und andere Wissenschaften. Nach Abschluss seiner Studien zog er nach Samarkand, das damals eines der bedeutendsten geistigen Zentren der islamischen Welt war. Nach neun Jahren kehrte er nach He­rat zurück, wo er an einer Hochschule lehrte. Er verfasste zahlreiche Werke, darunter den „Frühlingsgarten (Bahāristān)“ als eine Nachah­mung von Sa’dīs Gulistān, ferner „Haft aurang (Sieben Throne)“, „Tuḥfatu’l-aḥrār (Gabe der Freien)“ und „Subḥatu’labrār (Der Rosen­kranz der Frommen)“. Im Alter von 60 Jahren pilgert er nach Mekka und kehrt über Syrien, Ägypten und den Irak in seine Heimat zurück. Er starb am 19. November 1492 in Herat, wo sich sein Grab in einem Mausoleum befindet.

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[1] Über Leben und Werk von Ottokar Freiherr von Schlechta-Wssehrd siehe: Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich von Constant von Wurzbach, 29. Teil, Wien 1875, S. 65 f.; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 10, Wien 1991, S. 175.

[2] Vgl. Schlechta von Wssehrd, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, München 2000, Bd. 3, S. 658.

[3] Kurt Adel, Geist und Wirklichkeit. Vom Werden der österreichischen Dichtung, Wien 1967, S.183.